Leben und Kampf von Andrea Wolf
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Ich schwöre dir Andrea Wolf

Ich habe heute die Nachricht erhalten von deiner Hinrichtung. Ich kenne dich nicht, ich habe dich nie gesehen, nie mit dir geredet unter blühenden Bäumen, in der Prärie von Mesopotamien. Es war die Haltung deiner Sucht nach Gerechtigkeit, sich überdimensional und überwältigend dem Menschenfeind entgegenstellend, die mich dir zuwenden ließ.

Man hat dich von allen Seiten umzingelt, wie man es mit meinem Volk seit Jahrtausenden tut. Wer weiß, vielleicht waren es die Waffen, die Kugeln deines Landes, deiner Regierung, die dich, in dem du zu Boden fielst, in meinen Gedanken unsterblich machten. Dein Lächeln hat den Menschenfeind verrückt gemacht. Dein Wille, deine Stärke, deine Ideologie der Freiheit gegen die Unterdrückung hat deinen Feinden Angst gemacht. Sie, die Menschenfeinde, erhalten weiterhin ihre totbringende Nahrung aus deinem Lande. Du wußtest, wie schwer es ist, gegen deutsche Waffen zu kämpfen, in den Bergen den Kampf für das Leben und die Freiheit der Menschen zu unterstützen. Doch deine Sucht nach grenzenloser Freiheit der Menschen und nach Menschlichkeit hat deine Angst vor den Waffen aus deinem Lande verflüchtigt. Du hast deine Waffe umarmt und mit einer Freude, als seist du auf einer Hochzeit eingeladen, dich den Feinden der Menschheit entgegengestellt. Du hast auf alles verzichtet, selbst auf den Verrat, als es um dein Leben ging. Deine Freude und Willenskraft hat alledem getrotzt.

Ich schaue dein Bild an. Du lächelst mir entgegen. In meinem Kopf höre ich dich sagen: “Komm mit auf diese Hochzeit. Laß uns gemeinsam für die Freiheit und die unendliche Menschlichkeit tanzen!” Deine barbarische Hinrichtung hat mir keine Angst gemacht. Nur die Haltung deines Volkes versetzt mich in tiefe Trauer. Mit unbesiegbarem Willen werde ich mich dir anschließen und kämpfend, singend sterben. In Schweiß gebadet werde ich “Rache für deine Hinrichtung” in den Bergen schreien, es in den Himmel schreiben, und in die herzlosen Feinde prägen; sie werden schreien vor Angst davor, deinem Bild in meinem Leben und meinem Gedanken zu begegnen.

Das schwöre ich dir Andrea, beim Grabe meiner ermordeten Familie.

Miras

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machwerk, frankfurt (2000)