Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seite 148
„Ein letzter Brief an dich...“

Liebe Andrea,

jetzt sitze ich hier und stelle eine Dokumenation über dein Leben zusammen, obwohl wir die letzten fünf Jahre deines Lebens nichts mehr direkt miteinander zu tun hatten. Eine Kiste voll mit Erinnerungen und Gefühlen. Ich lerne dich seit einigen Wochen kennen, soviel von dir, wie in den gemeinsamen Jahren nicht.
Manchmal sitze ich da und mir laufen die Tränen, weil es Dinge in deiner Hinterlassenschaft gibt, die mich tief berühren, seien es Briefe, die wir uns geschrieben haben, als du in Guatemala bei deiner Mama warst - die sehr vertraut waren, wie unsere Beziehung sehr selten war; oder seien es deine Collagen, oder das Foto deiner Tätowierung - den bösen Wolf, immer bereit zum Sprung auf die Gurgel des Gegners. Ich wünschte mir, daß ich dich fragen könnte, nach deinen Gefühlen, die du in bestimmten Momenten hattest, daß ich dich in den Arm nehmen könnte, weil du so unglücklich warst, manchmal. All das, was ich nie getan habe, weil ich oft nur die Mackertante gesehen habe und fast nie deine Traurigkeit.

Ich stoße auf Dinge, die mich wütend machen. Briefe, die du anderen geschrieben hast, über unser Verhältnis nach deiner Trennung von Kein Friede. Wieviel an Energie und kostbare Zeit haben wir verschwendet, um das „Nicht miteinander reden“ aufrechtzuerhalten. Jetzt habe ich geschriebene Worte von dir, wie du um dich gekämpft hast in den Jahren in Kurdistan. Ich habe vieles verstanden von dem, was dich in den Jahren dort verändert hat. Es gibt auch Dinge, die mir fern sind - aber keine Möglichkeit mehr zu fragen und zu kritisieren. Oder auch, deine Kritik an uns zu diskutieren. Wir haben so oft in den gemeinsamen Jahren den Begriff Solidarität zu kämpfenden Bewegungen entwickelt, aber wir haben ihn nicht für uns selbst umsetzen können. Jede war mit ihrem Schmerz alleine. Du hast die Konsequenz gezogen zu gehen, ich bin geblieben.

Ich denke in den letzten Wochen oft an die Zeit, als du 1993 aus Guatemala zurückgekommen bist. Wir beide saßen in einem Cafe und ich war glücklich, daß du wieder da warst. Deine Eindrücke der Reise, deine Reflektion über die Gruppe. Wir haben uns total gestritten, aber nicht unproduktiv. Es war einer der letzten Tage der Nähe mit dir.

Deine Zärtlichkeit und deine Wut... wie dicht liegt das zusammen. Immer noch springt mich diese Disharmonie, die Bewegung freisetzt an. Widersprüchlich, wie immer faszinierst du mich - auch nach deinem Tod.
Härte und Gefühl, dein Lebensmotto, in dem du manchmal so verstrickt warst, daß du niemand mehr neben dir gesehen hast - dann war alle Gegner/innen, der dich kritisiert haben, und du warst unglücklich, ohne dir dafür den Raum zu lassen.
Und in Phasen, in denen du genau wußtest, was du willst hast du damit soviel Energie bei anderen freigesetzt.

Du machst es mir nicht einfach, einen Nachruf auf dich zu schreiben. Du kochst mit jeder geschriebenen Zeile längst vergessene Situationen hoch, die zum Teil zu meinen intensivsten Erfahrungen des Kampfes für emanzipatorische Veränderung gehören. Im Positiven, wie im Negativen. Aber wie gelingt es, dieses Gefühl zu vermitteln? Du forderst mich raus, wie du es bei vielen anderen auch tust.

Andrea, du bist immer noch Konfrontation. Auch wenn es „einfacher“ für manche geworden ist, die Erinnerung an dich und die Auseinandersetzungen auf den Dachboden zu packen - du kommst nicht mehr zurück und fängst an rumzubrüllen, was das soll. Du bist für immer gegangen.
Das macht vieles schwer, auch über all die schlechten Dinge zu sprechen, die im Raum schweben, die Dinge, die wir nie mehr klären können und die so vieles in den letzten Jahren bestimmt haben. Eine Last, die rumliegt, warum nach dem Verrat des Spitzels Steinmetz alles anders geworden ist, warum das Vertrauen zwischen uns dahin war.

Mir liegt auf dem Herzen, wie ein Stein - die Unfähigkeit, miteinander umzugehen, die Enge, die jede Beziehung, jedes Verhältnis abgewürgt hat. Mein Zorn auf dich. Später, als du die Briefe geschrieben hast, aus der Illegalität, deine Großkotzigkeit, mit der du den Genossinnen und Genossen aus der RAF begegnet bist - das war nicht okay. Vor allem, weil du dich selbst aus der Geschichte rausgelassen hast.
Und „wir“, ich? Ich habe dir nicht geholfen, war nicht da, als dein Zusammenbruch nach Bad Kleinen kam, weil ich nur noch mit meinem Zorn auf deinen Starrsinn beschäftigt war und nicht mehr die Zärtlichkeit, sondern nur noch die Härte gelebt habe.
Der Brocken liegt rum und er wird es bleiben. Die Möglichkeiten zur Aussprache sind vorbei. Das ist Teil der Konfrontation mit dir und dafür werde ich keine Lösung finden.

Ich denke manchmal daran, wie es gewesen wäre, wenn du zurück nach Deutschland gekommen wärst. Mit dem ganzen Elan, den du dir in den kurdischen Bergen, bei den Genossinnen und Genossen zurückerobert hast. Wärst du zur Auseinandersetzung bereit gewesen, wäre ich's gewesen? Es ist wirklich traurig, daß ich es nie wissen werde....

Deine Genossin aus Kein Friede

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machwerk, frankfurt (2000)