Leben und Kampf von Andrea Wolf
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Ronahî bedeutet Licht


Andrea schloß sich Ende 1996 der kurdischen Befreiungsbewegung PKK an.
Sie wußte, daß eine kleine Gruppe aus der BRD schon in den Bergen war, daß sich schon seit Jahren immer wieder Gruppen für einige Zeit an der kurdischen Guerilla beteiligt hatten. Schon Anfang 1995 hatte es gemeinsame Diskussionen über die Ziele der Beteiligung an der Guerilla der PKK gegeben. Andrea war, als wir aufbrachen, gerade von einer USA - Reise zurückgekehrt und hatte überlegt, ob sie sich der Gruppe anschließt. Sie hat sich dagegen entschieden, sofort mitzukommen, wollte aber darüber nachdenken, uns zu folgen.

Kurz nachdem wir Europa verlassen hatten, spitzte sich die Situation für Andrea zu. Sie zog es vor, zu einer Zeugenvorladung nicht zu erscheinen, um die Entwicklungen erst einmal aus sicher Entfernung zu beobachten und die Lage dann neu zu bewerten. Als ein Genosse von ihr dann an der Grenze mit mehreren Briefen von ihr festgenommen wurde, die Briefe beschlagnahmt wurden, leitete der Staatsschutz ein neues 129a-Ermittlungsverfahren gegen sie ein. Angeblich wolle sie sich bei der PKK "an Waffen ausbilden lassen, um dann in der BRD eine neue terroristische Vereinigung als Nachfolgeorganisation der RAF nach dem Vorbild der PKK” aufzubauen. Andrea hat in vielen Briefen deutlich gemacht, daß es ihr um ganz andere Ziele ging, als sich “an ein paar Waffen ausbilden zu lassen”. Die 129a Verfahren wurden später, als wir aus Kurdistan zurückkehrten, auch auf uns ausgeweitet. Bis heute wurden sie nicht eingestellt.

Andrea hatte sich entschlossen, nach Kurdistan zu gehen, mußte aber noch bis Ende '96 in der Illegalität warten, bis die Voraussetzungen dafür geschaffen waren.
Es ging ihr vor allem darum, von der PKK aus einen neuen Blickwinkel auf die Situation in Europa zu bekommen. Sie war davon überzeugt, daß die Methoden und Prinzipien der PKK auch in der BRD Ansatzpunkte für den Neuaufbau einer revolutionären Bewegung geben können.

Mit dem Anschluß an die PKK nannte sich Andrea Ronahî, kurdisch = Licht. Es ist bei der PKK üblich, einen Kampfnamen anzunehmen, einerseits als Codenamen, andererseits aber auch, um der Entscheidung Ausdruck zu verleihen, ein neues Leben zu beginnen, in dem mensch bereit ist alte Strukturen zu überwinden, und wie in der PKK gesagt wird, eine militante Persönlichkeit im Sinne des PKK-Statuts zu werden.

Andrea verbrachte einige Zeit in der zentralen Parteischule der PKK, wo sie auch die Gelegenheit hatte, den Vorsitzenden Abdullah Öcalan kennenzulernen und mit ihm zu diskutieren. Der Vorsitzende schätzte Andrea sehr und war davon überzeugt, daß sie beim Neuaufbau revolutionärer Strukturen in Europa eine wichtige Rolle spielen könnte. Es war ihm daher wichtig, daß sie sich nicht unnötig in Gefahren begab.
Im Frühjahr '97 ging Ronahî dann in die Berge zur Guerilla. Im Süden, dem irakisch besetzen Teil, machte sie ihre militärische Ausbildung. Im Herbst '97 trafen wir uns und hatten die Gelegenheit miteinander die bei der PKK gemachten Erfahrungen und die Perspektiven für die zukünftige politische Arbeit zu diskutieren. Ronahî hatte die Aufgabe mit weiteren deutschen GenossInnen, die sich der Guerilla anschließen wollten, darüber zu diskutieren.
Andrea blieb bis Mitte '98 im sogenannten großen Süden und ging dann mit einer Fraueneinheit nach Nordwestkurdistan. Dort wurde sie am 23. Oktober ermordet.

Ronahî schrieb auch in Kurdistan viel, wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte. Sie wollte auf diesem Weg den Kontakt zu Europa halten und andere von ihren Erfahrungen profitieren lassen. Der erste Teil ihres Tagebuches von April bis August 1997 erreichte uns. Danach kamen noch einige Briefe. Wir vermuten, daß Andreas Sachen dem Feind in die Hände gefallen sind und sich auch weitere Tagebücher und Aufzeichnungen darunter befanden.

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machwerk, frankfurt (2000)