Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 67-68
Erklärung zum Prozeß wegen der Demonstration zum Tod von Conny Wessman, 18.6.90


Am 17. November 1989 wurde die Antifaschistin Conny Wessman im Zuge einer polizeilichen Verfolgungsjagd vor ein Auto getrieben und dadurch getötet. Bei einer verbotenen Demonstration am 25.11.89 wurde Andrea festgenommen. Am 18.6.90 fand dann ein Prozeß statt, bei dem Andrea wegen „Verstoß gegen das Versammlungsverbot“ angeklagt wurde.

wir befinden uns hier in einem politischen prozeß, auch wenn es wegen der bürokratischen atmosphäre auf den ersten blick eher an eine amtsstube erinnert.
mir soll der prozeß gemacht werden, wegen einem verstoß gegen das versammlungsgesetz, weil ich am 25. november 1989 an einer demonstration anläßlich des todes von conny wessmann in göttingen teilnehmen wollte. daß ich eine sturmhaube, ein cs-gas und schienbeinschützer bei mir trug, soll also der verstoß sein. ein verstoß gegen ein gesetz, das den selbstschutz von demoteilnehmern und teilnehmerinnen unmöglich machen, und sie der kontrolle und willkür der deutschen polizei ausliefern soll.
ein gesetz - in den letzten Jahren auf passive bewaffnung und vermummung erweitert - das sicherstellen soll, demos als wandernden gefangenentransport vorzuführen. der anlaß einer demonstration soll am besten ganz dahinter verschwinden.
dies trifft auch für die demo am 25.1.89 in göttingen zu. mußte die polizei schon schlucken, daß der tod von conny nicht stillschweigend hingenommen wurde, so sorgte sie zumindest dafür, daß die zehntausende, die aus der ganzen brd zu dieser demo anreisten, sich der prozedur penibler durchsuchungen unterziehen mußten.

solche demonstrationen, bei denen einige hundert leute in vorkontrollen aufgehalten und stundenlang in irgendwelchen revieren „verwahrt“ werden, bei denen polizeieinheiten den sammlungsort hermetisch abriegeln, als handele es sich um hochsicherheitsgebiet, und marschiert die demo dann, wird sie von grünen kampfmaschinen begleitet, von denen nur helm, schild und brustpanzer zu sehen ist, und die immer wieder einfach in die menge knüppeln, immer gefilmt und abphotographiert von polizeilichen dokumentationstrupps. solche demos gehören längst zum normalen bild in der politischen landschaft der brd. so kurz nach dem fall der mauer, hätten die insassen der trabis, die die bundesstr. 27 in göttingen schon massenhaft passierten, beinahe eine massenkarambolage fabriziert, angesichts des martialischen aufgebots an der polizeilichen kontrollstelle. die einsatzkräfte vor ort ließ das kalt. hellhörig wurden sie allerdings, als sie unsere personalien überprüften, und sofort das kommando 'festnehmen' erschallte. völlig lächerlich- im verhältnis zu dieser polizeitaktik - die noch nie gegenstand eines prozesses war - die beschlagnahmten schienbeinschützer, aber anlaß genug, um mir einen prozeß zu machen. ein weiteres verfahren gegen den fahrer unseres wagens steht noch aus; in seiner anklageschritt wird sogar offen bezug darauf genommen, daß er bereits polizeibekannt sei. daß das interesse an diesem prozeß von seiten der sogenannten sicherheitsbehörden nicht nur in meiner person begründet sein kann, ist offensichtlich. seit dem fall der mauer schwappt die nationalistische und chauvinistische woge, nämlich die seit jahrzehnten staatlich betriebene ausländerInnenfeindlichkeit über. die verschärfung des sogenannten ausländergesetzes und die bekämpfung antifaschistischer handlungen fällt eng zusammen.

nach der durchsuchung unseres wagens und der körperlichen durchsuchung, die in einer bereitgestellten wanne stattfand, und der sexistische sprüche der männlichen polizeibeamten vorausgingen, wurden wir in eine polizeikaserne gebracht. bis 20.00 uhr wurden wir dort in einzelzellen festgehalten. was von dort aus, also aus dem inneren des apparats zu vernehmen war, ließ erahnen, daß die polizeitaktik an diesem tag keinen deut von ihrer gängigen methode abwich: der einsatzleiter, der rumbrüllte und die truppen einwies, ein probelauf für die „psychologische tour“, worauf eine horde polizisten wild mit knüppeln auf ihre schwarzen plastik-schilder einhämmerte, schäferhunde, die für den einsatz auf demonstrantinnen und demon-stranten scharf gemacht wurden...

jüngste ereignisse, z.b . daß nach der demo am 12.5. in Frankfurt unter dem motto „nie wieder deutschland“ eine frau mehrere wochen im krankenhaus bleiben mußte, weil der strahl des wasserwerfers die netzhaut an ihren augen abgelöst hat, und sie fast blind geworden wäre, zeigen, daß heute niemand ungeschützt an einer demo teilnehmen kann, ohne ernstliche verletzungen abzukriegen.

aber: der schutz vor knüppelschlägen, oder der schutz vor der schnüffelei der polizei, wenn sie ganze demozüge reihe für reihe abfilmt, werden kriminalisiert.

dieses gericht scheut sich nicht, deshalb eine hauptverhandlung anzuberaumen. es scheut sich aber, denjenigen einen prozeß zu machen, die den tod von conny auf dem gewissen haben. oder: in frankfurt wird der fahrer des wasserwerfers, der günter sare überfahren hat, freigesprochen.
diese wehrhafte demokratie hat ihre eigene rechtsprechung!

conny wessmann, günter sare, olaf ritzmann, klaus-jürgen rattay, benno ohnesorg, phillip müller und all die unbekannten männer und frauen, die durch deutsche polizei ihr leben lassen mußten.
aber: die befugnisse der polizei werden ausgebaut. in zukunft steht ihr ein ganzes arsenal von geheimdienstlichen mitteln zur verfügung. journalistInnen werden gezwungen, ihr film und fotomaterial herauszugeben, polizeiaufgaben, gesetze werden erweitert, sonder-maßnahmen, wie „vorbeugehaft“ erlassen.

der sogenannten gewaltenteilung wird der schleier abgerissen und zum vorschein kommt die ungebrochene macht, die seit dem ns-faschismus die staats- und regierungs-ideologie der brd geprägt hat: antikom-munismus, rassismus, sexismus und faschistische gesinnung. wer dies in diesem staat offen zu tage bringt, wird belohnt. so ist der vorsitzende richter des oberlandesgerichts stuttgart, der aktuell den prozeß gegen luitgard hornstein in stuttgart-stammheim führt, berroth, bekannt geworden, weil er einem jugendlichen, der auf der straße gegen eine laterne getreten hat, einen bauchschuß verpaßte.

die scheinheiligkeit, mit der diese demokratie osteuropa die „freiheit“ bringen will, ist begleitet von nationalistischer und sexistischer repression nach innen. frauen jeder nationalität haben diesen druck schon immer zu spüren bekommen, und er wird noch zunehmen. körperliche und verbale angriffe, sobald wir einen fuß vor die für setzen, und oft genug schon vorher.

mann will über uns verfügen, da bricht sie wieder hervor: die mentalität der herren-menschen. es hat keinen sinn, die ständigen übergriffe und die selbstverständlichkeit, mit der männer frauen bedrohen, einem männlich besetzten gericht zu erklären. dieser konflikt wird nicht in einem gerichtssaal entschieden, sondern von den frauen, die sich dagegen wehren. cs-gas ist ein verteidigungsmittel und bleibt es auch, solange das gewaltverhältnis von männern zu frauen besteht.

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machwerk, frankfurt (2000)