Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 95-96
„Jetzt bin ich voller Freude“
(kurz vor dem Aufbruch in den Mittleren Osten)


Brief an die Gruppe

lieber freund,

(...) du mußt wissen, daß ich unsere gemeinsame zeit nicht nur als scheiße, schrott bewerte. nein, es war wichtig für mich und ich habe viel gelernt. aber und das ist für mich der entscheidende punkt, wir konnten zusammen keine transformation machen, sondern sind stagniert. wenn ich eure texte lese, habe ich auch das gefühl, das hat sich nicht aufgelöst, nicht verändert, sondern im gegenteil noch verhärtet. ich meine nicht den sprachstil, ob die texte straight oder weich sind, die sprache locker-flockig oder parolenhaft, sondern, dass produzierte papiere eben keinen pro-zess auslösen, leiten, real existent machen können. papier wird zu makulatur, tot. es löst sich darüber kein problem, kein wider-spruch, es ändert sich kein leben, findet sich keine perspektive. ihr höhlt euch so selbst aus. der damals richtige gedanke, sich in die lage versetzen zu können, etwas anders zu machen, wenn wir die geschichte verstanden haben, und es eine breite dis-kussion darüber gibt, ist irgendwann von euch künstlich verlängert worden. die zeit dieses gedankens war schon abgelaufen. an seine stelle ist keine weiterentwicklung, keine neue praxis, kein anderer prozess von euch/bei euch getreten.(..)

wieso ihr zb. mit den freunden nicht näher zusammengeht, nicht auf einer NGO-ebene sondern real. das verständnis mit ihnen auch als außereuropäischer prozeß einen neuen internationalismus aufzubauen: sprich eine weltweite front, in der das alte antiimperiali-stische verständnis: peripherie und zentrum aufgehoben ist, weil sich die welten immer weiter angleichen, weil der befreiungsbegriff der aus dem marxismus, also aus der vom imperialismus beherrschten welt kam, diesen nicht überwinden konnte, weil er zu sehr reproduktion war. vor allem am begriff der herrschaft auf den menschen, auf den menschen als zwei, sprich auf die frau, auf den mann. so ist das verbinden mit ihnen nicht nur eine "flucht der gescheiterten existenzen", sondern realer weg für eine lösungsmög-lichkeit. ich bin überzeugt, ihr könntet mit der akkumu-lation von erfah-rung, wissen, geschichte, die sich in der gruppe bei euch sammelt, mit ihnen gemeinsam ganz anders zur wirkung kommen, auch in der organisierungs- und perspektivfrage für europa. das wollte ich euch nur nochmal mitgeben. es ist wirklich schade, daß wir uns nicht mehr gesehen haben. ich habe auch gehört, dass ihr mein weggehen falsch findet. findet, daß ich ihnen den raum überlassen habe. ich habe da eine andere Einschätzung, sehe die staatsschutzjustiz wirklich als vakuuminöses gebilde, in das niemand so leicht eindringt. das kräfteverhältnis aufzubauen, das mich dann rausholt, finde ich ganz und gar nicht absehbar. ich denke, im gegensatz zu christoph seidler geht es bei mir auch nicht um die vergangenheit, sondern um die zukunft, potentiell zumindest. der benzsche weg, das kommt für mich überhaupt nicht frage!(...)

aber jetzt bin ich voller freude und frohen herzens. sicher jetzt kommt erst noch ein schmerzlicher abschied und dann habe ich auch angst, ob ich das alles hinkriege, die sprache, körperlich, aber auch das hohe subjektive niveau. vor allem jetzt, nachdem ich solange auf der stelle getreten bin. das ist eine verrückte mischung außer meinem hingedachten zu ihnen kann ich mir nichts konkret vorstellen, bin also auch sehr gespannt und mir ist etwas bange, vor allem vor der ersten zeit, bis man sich mal eingewöhnt hat. und mein zurückkommen dann wird auch sehr davon abhängen, was es bis dahin hier gibt...

ein anderer punkt, unabhängig von der auseinandersetzung zwischen uns ist, daß ich nicht verstehe, welchen begriff von patri-archat ihr habt, wenn ihr in diesem text zur pkk schreibt, die befreiung aller frauen vom patriarchat weltweit ist eine frage, an der niemand mehr vorbei kommt. und was ist mit der befreiung der männer vom patriarchat? habt ihr nichts damit zu tun, seid ihr davon frei? die parole, die frauenfrage ist die männerfrage, finde ich da noch treffend. die frauenbefreiung ist kein spefizisches frauenressort, wie der §218. sie wird ohne umwälzende veränderung der herrschaftsverhältnisse nicht stattfinden, denn die die oben sind, die weissen männer, die ihre lebensfremdheit mit der verachtung von uns kompensieren, müssen von ihrem thron herunter!

wir müssen umgekehrt, anstatt diese kaputt-heit gegen uns selbst als die minderwertigen zu drehen zb. oder zu kopieren, um uns durchzusetzen, unseres, das frauengeschlecht annehmen, entwickeln und zur wirkung bringen. auch in den kleinsten zusammenhängen der linksradikalen. so versteh ich nicht, wie ihr - auch die typen bei euch - darüber so äußerlich schreiben könnt. daraus spricht für mich, daß dieser widerspruch bei euch nicht angegangen wird, seine lösung nicht organisiert wird. ich sehe das auch als unseren grund-konflikt, an dem wir zusammen (ich mit euch im machtkampf mit den typen und in meiner frauen/selbstverachtung, mein nichtbezug auf die frauen) gescheitert sind... ich kann natürlich zu kurdistan nur aus der vorstellung reden(noch). aber die haltung in eurem text, gerade an diesem punkt, stößt mir extrem auf. auf der einen seite schreibt ihr, wie wenn die frauenfrage für die pkk nur eine taktische frage zur modernisierung sei, die sowieso wieder zurückgedrängt wird, andererseits benutzt ihr die kritik der kurdischen bewegung am europäischen feminismus dazu, auch diesen für perspektivlos zu erklären. beim lesen kriegt man das gefühl nicht weg, daß das eigentlich keine frage ist, deren lösung euch besonders unter den nägeln brennt, sondern ihr euch eher deshalb dazu äußern müßt, weil es eben ein starker anziehungsmoment der pkk ist. mir gefällt auch nicht, dass ihr so wissend schreibt einerseits, die beobachtungen aber dann immer wieder relativiert. dadurch entsteht so ein unterschwelliges kritikverhältnis, ohne aber direkt zu sein.

FREIHEIT UND GLÜCK!

 

Brief an eine Freundin


Liebe Freundin,

Das war wirklich ein Jammer mit unserem verpatzten Besuch, (...) ich war natürlich auch sehr traurig, dich nicht, also gar nicht mehr zu sehen. (...) Ich hatte mir so sehr gewünscht, daß du noch mal einen anderen Weg findest, aber du bist schon sehr sturköpfig. (...) Ich hatte mir gewünscht, gehofft und vielleicht auch eingebildet, daß du den Weg runter für dich nicht einfach ad acta legst. Daß wir uns da vielleicht mal treffen. Ich hätte das gut gefunden, nicht nur aus meiner Situation, sondern auch für dich. Die Rolle als Frau mal ganz anders zu erfahren. Und für uns und sie insgesamt auch. Denn es soll ja ein Projekt sein, das nicht mehr abreißt.(...)
So liebe Freundin, leider haben wir all die Chancen, die wir hatten, seit wir uns kennen, so wenig nutzen können. Ich zumindest für mein Teil war viel zu gefangen in meiner frauenverachtenden - und somit auch mich und dich verachtenden - Herkunft. Ich mochte dich immer und ich werde dich auch immer mögen. Für mich war es auch keine Konkurrenz zu dir, auch kein: ich steh über dir. Was mich vor allem damals (...) so krank gemacht hat, (...) war deine ganze imperialistische, frauenverachtende und selbstzerstörerische Struktur. Sie zu sehen, mich darin wiederzuerkennen, denn keine von uns Frauen hat diese Struktur auf die eine oder andere Weise nicht. Das nur zu sehen, hat mich dir und mir selbst gegenüber hilflos gemacht. Zu fühlen, das sitzt verdammt tief und da gehts ans Eingemachte, aber keinen Schimmer wie da rankommen. Die Kontinuität der Scheiterhaufen modernisiert die Selbstzerstörung. Meine einzigste Waffe gegen die Verletzungen, Mißachtungen, Selbstverachtung und den Selbsthaß, gegen die Hilflosigkeit, die ich nicht als politische Struktur begriff, sondern als mein persönliches Versagen war: draufzuhauen. Auf alles, mehr oder weniger. Die politische Beschäftigung hat es mir nur phasenweise ermöglicht, das zu durchbrechen. Aber jetzt will ich die Spur nicht mehr verlieren. Ich gehe voller Zuversicht, Hoffnung und Freude und werde dich immer in meinem Herzen tragen. Ich hoffe, dein Kind kommt nach dir, deiner wahren Stärke und Schönheit.

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machwerk, frankfurt (2000)