Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 53-56
Briefe an Andreas Semisch
(1988/1989)

19.11.88 „Zur Doppelstrategie“:

Das ist der Grad, den die Konfrontation mittlerweile hat, die politische Konfrontation durch den revolutionären Kampf, daß sie mit rein militärischen Mitteln, oder reiner Befriedungsstrategie und Entpolitisierung durch Kriminali-sierung nichts wirklich aufhalten konnten. Durch den 15jährigen, revolutionären Kampf in der Metropole sind sie entlarvt, angreifbar gemacht und angegriffen worden. Dadurch und durch die Widersprüche zum System (sei´s die AKW, Umwelt, Rüstungs-, Technologie oder Sicherheitspolitik) ist der stille Konsens, den sie zur Realisierung ihrer gesamten Politik brauchen, zerbrochen. An diesem Punkt steht es jetzt, zwar ist daraus noch keine massenhafte, revolutionäre Organisierung entstanden, doch den Konsens müssen sie für ihre Macht und Kontrolle wiederherstellen, und das versuchen sie gerade mit allen Mitteln, durch unsere Bekämpfung und Vernichtung, Dialog und Be-friedungsangebote, riesigen Propagandaveranstaltungen zum EG-Binnenmarkt, sonstigen europäischen Einrichtungen, oder wie 1989 dem 40jährigen Bestehen der BRD und, und.

Die neue Qualität sehe ich darin, daß es eine absolute Polarisierung gibt, Zuspitzung, - auf der einen Seite der revolutionäre Prozeß und auf der anderen Seite alle staats - und machttragenden Gruppen. In dieser Konfrontation spiegelt ihr Versuch uns endgültig zu zerschlagen das Grad der Entwicklung wieder. Und ich sage noch lange nicht, daß wir deshalb schon gewonnen haben, denn wieweit sie kommen liegt an uns allen, und es wird sich auch daran entscheiden.

Noch mal zu den Grünen: Ihre Entstehungsgeschichte war von Anfang an eine Alternative zum Kampf. Diejenigen, die nach 1977 nach einem „ dritten Weg“ gesucht haben, haben die ersten Grünen-Listen gegründet. Sie haben damit ihre eigene Perspektivlosigkeit und Unentschiedenheit als politisch richtige Perspektive aufgebaut. Auf die Angriffe durch den revolutionären Widerstand einerseits und den Druck der anderen Parteien andererseits, reagieren die Grünen, um nicht zerrieben zu werden, ganz schnell, schlagen sich auf die Seite des Systems- denn eins von beiden müssen sie zerschlagen, um selbst bestehen zu bleiben- und weil sie bestehen bleiben wollen, Macht wollen, bekämpfen sie die, die Macht zerstören und verbünden sich auf ihre „sanfte“ Tour mit denen, die Macht sichern wollen.

Noch mal wirklich wichtiger als die Position der Grünen ist der politische Moment der Konfrontation, daß sie allesamt zum ersten Mal gezwungen sind, beide Linien anzuwenden, zu verquicken...
Wo sie sich vorher abgewechselt haben in den Methoden der Aufstandsbekämpfung und Herr-schaftssicherung, abgewechselt um sich voneinander different darstellen zu können und auch damit nicht geschafft haben, uns aufzuhalten, ist es heute an dem Punkt, wo sie alles auffahren und einsetzen müssen, wo der Kern und ihr wirkliches Interesse, egal wie different sie es durchzusetzen versuchen und darstellen wollen: stärkste imperialistische Macht zu werden, offen wird.

Dieses Ziel, imperialistisches Zentrum Westeuropas zu werden zu erreichen und da sind wir das Hindernis das ihnen im Weg steht, dafür müssen sie den revolutionären Widerstand zerschlagen und vernichten, und das ist genau die Schärfe, die die Konfrontation jetzt hat. Unsere Konstitution, Weiterentwicklung zu verhindern, unsere Präsens auflösen und zerschlagen. Mit jetzt meine ich auch die Situation kurz vor dem IWF.

Die Ruhe, die sie herstellen wollen, in der BRD um damit die Wirkung der Kämpfe in Westeuropa und somit auch international zu schlucken, diese Ruhe ist nicht nur propagandistisch sondern ganz materiell. Die brauchen sie, denn sie ist eine Voraussetzung dafür, daß sie die multinationalen Finanzmächte hier herholen, ansiedeln und bündeln können. Hier meint konkret das gesamte Rhein-Main Gebiet, speziell Frankfurt. Deshalb war es für sie auch Bedingung, die Startbahnbewegung zu zerschlagen, und das war auch schon vor dem 2.11. geplant und vorbereitet worden, weil der Ausbau des Flughafens für ihr Herrschaftszentrum Westeuropas benötigt wird. Und weil sie den gesamten revolutionären Prozeß hier plattwalzen wollen...

Was der Moment der Mobilisierung gegen den IWF für uns sein kann, triffst du auch ziemlich genau. Weg von den Ein-Punkt-Bewegungen, der appellativen Kampagnenpolitik, dem ständigen Reagieren, sondern ein Schritt hin zur Einheit, zur Entwicklung von strategischen Handlungslinien und somit Bildung eigener Ziele des Widerstands.
Da gibt es jede Menge Fragen, wovon die Frage, Kampagnenpolitik oder nicht nur eine ist, um dahin zu kommen: langfristige revolutionäre Strategie und Handlungfähigkeit...


Brief 25.10.89.

Ich will noch mal einen „Exkurs“ über das Schreiben machen:
Daß die freie Kommunikation nicht materiell existent ist, lastet sehr auf mir. Dieses Manko kann ich durch meine subjektive Anstrengung - mehr schreiben, berichten -, nicht ausgleichen. Ich kann es als einzelne nicht aufheben, sondern nur wir gemeinsam, wenn es dafür eine Stärke gibt.
Ansonsten denke ich, die Abstrahierung im Schreiben, hat doch hauptsächlich ihren Ursprung darin, daß wir gar nichts konkret zusammen machen können, - also wenn ich dich frage, kommst du mit auf diese oder jene Demo - sondern dein und mein Tag sehen völlig anders aus und wir können uns immer nur gegenseitig davon berichten, darüber Gedanken austauschen. Trotzdem macht mir meine Abstrahierung Schwierigkeiten, weil ich manchmal nicht weiß, ob es dann noch zu verstehen ist.

Und: abstrakt ist dann nicht nur die Art und Weise wie sich jemand ausdrückt, sondern dahinter steht ja, wie jemand denkt, sich in die Situation reindenkt, für sich selbst einen Ausgangspunkt findet. Dieser ist nicht von der Form abhängig, sondern ob der/diejenige für sich die Möglichkeit findet, alles eigene Wissen und Bedürfnisse zusammenzukriegen und weiter zu entwickeln.

Für sich selbst und mit anderen zusammen, das denke ich mittlerweile, ist so wichtig, weil nur darin Keime einer - wenn auch Mini- Mini- Miniatur- Gesellschaft- die nach ganz anderen Werten lebt, wachsen kann, und weil sich nur daraus ein langer Atem schöpfen läßt, der die jetzige Staats- und Gesellschaftsform auflösen kann. Zu so einem Zeitpunkt allerdings wäre es zu spät erst damit anzufangen, wie die neue Form aussehen soll, sondern sie muß schon auf dem ganzen Weg mit erkämpft werden.

So rum trennt mich von niemanden eine unterschiedliche Analyse, denn sie rückt sehr in den Hintergrund, ist nur noch ein Mittel, nämlich unsere Kräfte an den richtigen Stellen einsetzen zu können. Ich sag das nur, um zu verdeutlichen, daß für mich das Gewicht auf der Veränderung jedes/r liegt und zusammen, und dafür ist doch erst mal die Situation von jedem/r und im ganzen Zusammenhang der Situation der Kämpfe anzugucken, rauszukriegen vor welchen Hürden jede/r steht, und von da aus, wie sie zu lösen sein können, so daß du zusammen stärker wirst.
Das mag jetzt vielleicht „subjektivistisch“ klingen, doch ich denke, das ist eine wirkliche politische Qualität. Weniger die Frage, wogegen wir noch alles kämpfen könnten, oder es auch schon in der Vergangenheit hätten tun können, sondern mehr wofür, und in den Verhältnissen muß sich das ausdrücken,: es gibt eine andere Realität. Diese Souveränität brauchen auch die Menschen aus den Kampfprozessen, Abschnitten, denn das ist die einzige „Anziehungskraft“, die wir haben. Ich denke, diese Verhältnisse müssen auch weniger von dem gekennzeichnet sein, wo jemand hinwill- das wurde auch in der Vergangenheit oft zu einem alles überladenen Anspruch, worin niemand mehr von der Stelle kam-, sondern der Fähigkeit, gemeinsam die subjektiven, politischen und praktischen Hürden nehmen zu können, wofür das Ziel natürlich nicht ganz draußen bleiben kann.

Ich versuche das in einem Begriff zu fassen wie: “politisch-subjektiver Prozeß“ und dieser stand und steht immer noch viel zu sehr im Hintergrund. Da gibt es doch vielfältige Erfahrungen, wie was gedacht wurde, daß es gehen könnte, wie was gemacht wurde.
Von da aus kann und muß jede/r reden, denn diese Erfahrungen dürfen nicht untergehen, weil sie nicht wiederholt werden brauchen.
Ja, da stoß ich auf mich selbst, daß ich zu eigenen Erfahrungen auch erst selten was gesagt habe, doch aus “individuellen“ Entwicklungen ist das sehr schwer, und du bist dir nicht sicher, ob das dann wirklich den Kern trifft. Da braucht es schon eine gemeinsame Erfahrung, von einer ganzen Phase, wie etwas überlegt, bestimmt und gemacht wurde...

Eine Erfahrung war, sich über den „richtigen Weg“ zu streiten, und das ging soweit, sich damit zu blockieren, anstatt vom eigenen Handeln und der eigenen Vorstellung auszugehen, und gleichzeitig über die Unterschiedlichkeit auseinanderzusetzen, aber mit dem Ziel lernen zu wollen, wirklich rauskriegen zu können, was ja vielleicht auch ganz anders angepackt werden kann. Z.B. stand sich oft gegenüber, wie Verbreiterung- auf die alle aus sind,- laufen kann. Eine geläufige Denkweise war da, sich nur gemeinsam die gleichen „sozialen“ Fragen vornehmen zu müssen, damit wäre ein Erfolg schon gesichert. Doch wenn kein Durchkommen ist, sag ich, nutzt der ganze gemeinsam Ansatz nichts. Denn neben der „Anziehungskraft“ von uns durch die andere Realität, die wir in der Lebens-, Umgehens- und Denkweise uns aneignen, macht der andere Arm dieser „Anziehungskraft“ doch aus, daß wir es ernst meinen und siegen können. Diese Möglichkeit vermittelt sich in der Politik und Praxis mancher Gruppen, z.B. der Tatsache, daß seit über zwanzig Jahren der radikale Bruch vollzogen wurde, ohne daß es dem Staat gelungen ist, ihn zu zerschlagen, die konkreten Erfolge derer jetzt nicht mal untersucht.

Und es stimmt natürlich, daß dabei Fehler gemacht, oder einfach noch nicht weit genug gedacht wurde. Ich denke, daß eine Stärke nur zusammen entsteht, von denen, die die weiteste „Demarkationslinie“ zum Staat sind und denen aus den Basisprozessen. Ich sag das nur noch mal, weil das auch in der Vergangenheit immer ein Streitpunkt war. Wie sie sich aufeinander beziehen können, die jeweiligen Anfangs- und Ausgangspunkte vermitteln, und aus ihnen gemeinsam weiter kommen können, wird die Entwicklung der nächsten Zeit angehen müssen. Dafür hat der Hungerstreik einen wichtigen, politischen Durchbruch erkämpft.

Das klingt jetzt so, als hätten wir ewig dafür Zeit, nein das meine ich nicht. Aber, um die allgemeine Entwicklung noch mal konkreter zu benennen, in einer Zeit, wo durch die Entwicklung in Osteuropa dem Kapital ein neuer Markt erschlossen ist, und damit politisch gleichzeitig die Unmöglichkeit einer zur kapitalistischen alternativen Produktions-Gesellschafts- und Staatsform erklärt wird, wiegen die Veränderungen der revolutionären Kräfte in der letzten Zeit natürlich noch mal besonders.

Gleichzeitig ist die Chance einen Durchbruch zu erzielen, vertan worden, und wird jetzt die Entwicklung hauptsächlich von dieser Kapitalexpansion bestimmt sein.

Das wiederum schafft natürlich für uns eine viel schwierigere Ausgangsbedingung und um mit dieser wirklich umgehen zu können, sie nicht nur zu kommentieren, müssen sich alle revolutionären Kräfte den Erfahrungen der letzten Jahre stellen, damit es „auf unserer Seite“ mal zu einem Schub kommt, von dem ich denke, daß er sich nicht mit einer defensiven Haltung aufbaut, weil darin der eine Arm unserer „Anziehungskraft“ fehlt, kein Eingreifen möglich wird.

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machwerk, frankfurt (2000)