Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 44-47
Wieder der Freiheit beraubt
Briefe von Andrea aus Preungesheim (1987)

Am 18.9.87 wurde Andrea erneut verhaftet. Dirk Strandenaes, ein Spitzel belastete Andrea und ihre Freundin Danae, verschiedene Anschläge u.a. auf das Amtsgericht Offenbach geplant und dafür Sprengstoffdepots angelegt zu haben. Wenige Tage vor der Verhaftung von Andrea war Strandenaes von verschiedenen GenossInnen mit dem Verdacht konfrontiert worden als Spitzel für den Staatsschutz zu arbeiten.
Der Haftbefehl gegen Andrea und Danae lautete auf „Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die in mehreren Städten existiere, sich als Teil des antiimperialistischen Kampfes verstehe und danach trachte , sich durch die Verübung von Brand- und Sprengstoffanschlägen in die von der RAF propagierte Einheitsfront von Guerilla und Widerstand einzuordnen.“ (aus dem Haftbefehl). Andrea wurde verhaftet, Danae, die auch in der Wohnung wohnte war gerade nicht zuhause und setzte sich ab. Andrea kam für zwei Monate in den Knast nach Frankfurt Preungesheim.

1. Brief

Daß die Presse von einem RAF-Unterstützer spricht, meine und seine Verhaftung in einem Satz nennt, oder von mehreren Personen aus dem Randbereich der Terroristenszene berichtet, ist der propagandistische Versuch zu vertuschen, daß Strandenaes für die Bullen gearbeitet hat, genauer gesagt für den Geheimdienst, und daß das ganze Verfahren eine von ihm vorbereitete Inszenierung ist, die ursprünglich in einer anderen Dimension geplant war. Doch dazu später.
(...) zu dem Typ gab es nichts gemeinsames, nichts. Ich habe ihm von Anfang an gesagt, daß ich mit ihm keine gemeinsame Praxis haben werde. Das war dann auch nie mehr ein Punkt.
Ich habe das Schwein insgesamt 12 Tage mitbekommen. Einmal vier Tage, an denen noch vier weitere Leute dagewesen sind, anschließend war er vier Tage unterwegs (auch beim ersten Prozeßtag von Luiti, Chris und Eva, woraus sie jetzt das Ausspähen des vorsitzenden Richters am OLG Stuttgart machen). Danach ist er noch mal acht Tage am Stück dagewesen, von denen er tagsüber allein in der Wohnung war und ich nur zum Pennen gekommen bin. Ich habe ihm am siebten Tag gesagt, daß er gehen soll und am Morgen des achten Tages ist er dann abgehauen.
Der Zusammenhang zur Kronzeugenregelung besteht darin, wie sie versuchen seine Bullenidentität zu vertuschen und gleichzeitig für sich „Kapital“ daraus schlagen wollen: Nach dem Motto, die Kronzeugenregelung wäre im weiteren Umfeld erfolgreich, denn da gäbe es noch Leute, die umfallen würden. Das soll verunsichern, uns schwächer darstellen, als wir sind und die Klarheit, wo wir stehen verwischen.
Es ist auch mehr wie eine windige Konstruktion, bei der sie das, was er als Spitzel mitbekommen hat total hochkochen,
ES IST EINE DRECKIGE INSZENIERUNG, DIE SICH AUF FAKTEN STÜTZT, DIE SIE SELBST GESCHAFFEN HABEN.
Strandenaes hat außer einkaufen im Supermarkt und Sprit holen nichts mitbekommen, nichts von unserer politischen Praxis.

Ich will jetzt mal genauer drauf eingehen, was sie mit ihm vorhatten. Ich denke sehr wohl, daß er versuchen sollte, mit Leuten etwas real zu machen und daß sie sich weiter davon erhofften, daß das dann wie eine Eintrittskarte wirkt, und er sich langsam vorarbeiten

kann, zu den Militanten, letztlich zur RAF - so wie ihre gestörten Bullenhirne sich das vorstellen.
Denn das versuchen sie immer wieder: mit ihren Spitzeln an Militante, legale oder illegale, ranzukommen, um so einen Schlag gegen den Widerstand und die Vernichtung von Leuten aus der Guerilla zu landen.
Diese Inszenierung gegen mich ist doch nur deshalb gelaufen, weil der Spitzel, nachdem er schon in drei anderen Städten nicht reingekommen ist, rausgeflogen ist.
Die These, das ganze Projekt sei deshalb gelaufen, weil die Schweine die Autonomen nicht anders bekämpfen können, greift zu kurz.

(...) Zuerst hat er noch vom Knast aus Gisel, Rolf und Hanna, Gefangenen aus der RAF geschrieben. Als die Gefangenen den Briefkontakt zu ihm abgebrochen haben, weil merkwürdige Aussprüche von ihm gekommen sind, haben die Schweine gemerkt, daß er so nirgendwo reinkommt. Letztendlich Kontakt hat er über eine Berliner Knastgruppe gekriegt.

ZU EINIGEN FLUGBLÄTTERN UND DER DISKUSSION; EINSCHÄTZUNG;SCHWIERIGKEIT DRAUSSEN, DIE ICH MITBEKOMMEN HABE:

...der Einfachheit halber, um hier nicht zu jedem Flugblatt eine extra Kritik zu machen, beziehe ich mich auf einige:

drei Dinge vorneweg:

1. bin ich nie zu irgendeiner Veröffentlichung gefragt worden, mit Ausnahme des Briefes, bzw. Redebeitrags zum 18.10.

2. Springt einem aus den Flugis eine Personifizierung entgegen, die angesichts der schlechten Kommunikation zwischen Drinnen und Draußen eine pure Projektion ist, die keine Funktion hat. Vor allen Dingen findet mit einer Personifizierung immer eine Entpolitisierung statt, die vom Kern, wie wir mit dieser Inszenierung (der Schweine) umgehen, was wir dieser blanken Konstruktion entgegensetzen, ablenkt. Einzige Funktion dieser Personifizierung ist es gewesen, eine Art Betroffenheit hervorzurufen, die so kein Stück brauchbar ist für uns.

Eine Art caritativer Betroffenheit, eine Art Mitleid, „wer das Leidlied singt, besingt den Schweinesieg“ - anstatt einer radikalen Solidarität, die das Bewußtsein über unser Ziel und die Bekämpfungsversuche der Schweine ist und zugleich eine Alternative kollektiven Handelns, nämlich des gemeinsamen Bruchs mit der Ohnmacht aufzeigen muß.
Dann ist mir eingefallen, daß dieses Passive, dieses über sich ergehen lassen, mit dem Moment einsetzen soll, wo das Druckmittel Knast da ist und dann jegliche Entscheidung und eigene Bestimmung wegfallen soll, was ausdrückt, im Knast sei alles zu Ende. Das führt mich zu einer unserer größten Schwierigkeiten:
die Umgehensart mit der Angst, der Tabuisierung von Knast und somit der Verdrängung. Durch unser Schweigen wird die Angst nicht kleiner, nur individualisiert. Mit dieser Individualisierung wird die fehlende gemeinsame Perspektive drinnen zu einer Bestätigung, daß es im Knast nicht weitergeht.

(ich kann das ehrlich nur aus meinen Erfahrungen, auch aus der jetzigen wieder sagen). Ja und darüber komm ich eigentlich wieder zu dem, womit ich angefangen habe:

DIE SUGGESTION UNSERER OHNMACHT IST IHRE STÄRKE

2. Brief
Samstag 19.9.87

Mein erster Tag in Preungesheim geht dem Ende entgegen.
„Sicherheitsstation“ nennen sie das hier, fragt sich nur: Sicherheit für wen und wovor. Konstrukte, Korrupte, Konstruktionen. Die alten Kerkermauern sprechen Bände. Was sich hier materialisiert hat deutsche Tradition.
JaJa sie sagen: Nichts sei, vielleicht ist es ja auch gerade das - Ihr fragt wie es mir geht, fragt lieber was ich tue...
Mal der Reihe nach: Nach der Festnahme ins Präsidium Offenbach, auf den Rücken gefesselte Arme, im Betonsarg, weißgekachelt von oben bis unten, und absolut nichts außer den Neonröhren und deinem Herzschlag. Handschellen schneiden sich langsam in dein Fleisch, keine Träne, keine Trauer, alle Angst wie weggeblasen, aufgelöst ins Nichts. In all der Kälte eine Wärme. Du selbst als Mensch, wie du bist, lebendig, chaotisch, hungrig ... Da ist der ganze Zinnober um mich herum lächerlich - 1, 2, Gleichschritt, mit der Perfektion eines Schnellfeuergewehrs, mit der Perfektion der Maschinerie, hochgerüstet bis zum geht-nicht-mehr und Hunderte von stummen, laufenden Rädchen; ist das alles nichts gegen meine Gewißheit, schlägt immer wieder ins Leere. Ich immer noch in Lederhose, T- Shirt und barfuß holen mich zur ED - Behandlung, was einer Einweisung in einen Folterkeller gleichkommt. Fotos auf dem elektrischen Stuhl, Abdruck der Handflächen reißt am T-Shirt, die besonders fleißige Komplizin - besonders eifrig - besonders gehorsam - besonders dienstgeil, eine von den 150% igen. Der Bulle steht nur daneben und sieht zu, dann wieder Handschellen, ins 2. Revier in Offenbach, Berlinerstraße. Im Keller, ein Kerkermeister erinnert mich an Quasimodo, sechs Zellen, mehr Löcher, mit Nichts, Milchglas, mal wieder weiß gefliest, zwei Glühbirnen in der Wand, einen Steinsockel mit Gummibezug, das soll das Bett sein. Menschen die vorübergehen werfen Schatten in das Loch, sonst hörst du mit einer unendlicher Penetranz den Ventilator, immer wieder ohne Unterbrechung bis dir der Kopf dröhnt, das nackte Licht, bis dir die Augen tränen, und über der Decke ständig Stühlerücken, Gepolter, Schritte ...
Wahrnehmungsterror, du denkst die Decke stürzt ein, und gleichzeitig wieder eiserne Ruhe, dieses Nichts. Dann holen sie mich wieder, Handschellen wieder ins Polizeipräsidium, noch mal Fotos, Handschellen wieder ins Revier, Handschellen wieder ins PP, zur Vernehmung, sie lassen keine Methode unversucht, verachtenswert und jämmerlich, ich könnte auf die Mörderhände spucken ... wohl enttäuscht, oder was- sie sperren mich wieder in den Betonsarg. Und dann wieder Handschellen, und gegen 16.00 Uhr bin ich zurück im Revier, wo ich bleibe bis sie mich holen zum BGH am nächsten Tag...

Die Nacht ist kalt, ich tu fast nichts anderes als Zittern - ohne Decke - mich schmerzen noch jetzt meine Nieren, nichts gegessen, kein Wasser, mein Zahnfleisch fault, der Kreislauf wacklig, gelbe Flecken überall, das T- Shirt deckt nicht mal den Rücken ganz, Gänsehaut und Schwindel, als es endlich hell wird, fast ein Gefühl der Erlösung, als endlich der Ventilator abgeschaltet wird.
Im Zivil-LKA Saab nach Karlsruhe, drei von diesen Figuren im Auto, die Quintessenz ihrer Unterhaltung macht mir einiges klar ...

Protestresolution der Mitschüler/innen:

Die Studierendenvertretung des Abendgymnasiums 1 protestiert entschieden gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen unserer Kommilitonin Andrea Butt.
Wir protestieren dagegen, daß unsere Kommilitonin ohne Verurteilung, nur auf Grund eines Verdachtes, in Isolationshaft untergebracht wurde.
Wir fordern die sofortige Angleichung ihrer Haftbedingungen an die für Untersuchungshaft festgeschriebenen Bedingungen. Im Mindesten muß das 24 Punkte Papier für Untersuchungshaft-Gefangene, die sich wegen des Verdachts auf 129a Straftaten in Untersuchungshaft befinden, eingehalten und erfüllt werden.
Wir apellieren an Sie, neben ihrer Pflicht Straftaten aufzudecken und zu verfolgen, die Menschenrechte nur in soweit zu beschneiden, als dies unumgänglich ist. Desweiteren werden wir den Fortgang der Ermittlungen und die Behandlung unserer Kommilitonin in dem uns möglichen Rahmen weiter aufmerksam verfolgen. 30.9.87

Dann verfahren sie sich in Karlsruhe, finden nicht mal ihr eigenes BGH. Der Anblick meiner Freunde freut mich. Nach dem Zeremoniell der Haftbefehl, doch erstmal verfrachten sie mich ins Präsidium in Karlsruhe. Gewöhnlich stinkende Zellen, die Bullen mit merkwürdigem Dialekt, mein Magen der sich schon fast selbst verdaut, wird mit Brot und Streichkäse gefüttert. Fünf Stunden später (ca 18.00 Uhr) werde ich vom schicken, weißen Saab wieder abgeholt, die Handschellen, doch diesmal die Arme nach vorne, ihre Anwesenheit verursacht körperliche Schmerzen, die eben gegessenen Brote kommen mir fast wieder hoch... Dann verfahren sie sich wieder, ruinieren das Getriebe, beinah auch ihr Funkgerät, die großen Herren vom LKA, ich komm mir vor wie in nem Comic-Streifen; gegen 19.30 Uhr öffnet sich dann die Metallschleuse Preungesheims. Nach Einschluß der anderen kriege ich endlich meine Zelle zu Gesicht. Wie gesagt Sicherheitsstation, 23 Std Zelle, Fliegengitter vorm Fenster, Knastklamotten und im Einzelhofgang mache ich Training. Mareille Schmegner, Ingrid Barabass und Gisela Dutzi sind auch hier, permanente Überwachung, permanenter Angriff. Andrea

3. Brief
10.10.1987

Wo soll ich anfangen, wo beginnen? Mit den „Aussagen“ von diesem „Typ“ brachen sie in Offenbach in die Wohnung ein, fuchtelten wie wild mit den Knarren herum, drohten Sada zu erschießen, kugelten mir die Arme aus, als sie mich hinderten meinen Anwalt anzurufen, Handschellen, verschleppten mich, Reviere, Präsidium, BGH, nochmal Präsidium, Preunges-heim.
Zwei Tage eine Zelle auf dem selben Gang mit anderen politischen Gefangenen (Ingrid, Gisel, Mareille), dann die erneute Verschleppung, wieder kugelten sie mir die Arme aus. Das neue Loch, noch kleiner, noch dunkler, noch stinkender, Souterrain, rechts und links leere Zellen, der ganze Gang nur mir allein, eine dicke Stahltür, die diesen Gang von dem restlichen Flügel trennt. Da dringt kein Laut durch, nur ab und zu hör ich Gefangene über mir rufen, lauter verschiedene Sprachen....
Die ersten Tage, die Prozeduren in den Revieren, ist alles nur so an mir vorbeige-zogen, ich brauchte fünf Tage um wieder zu mir zu kommen, doch die ganze Zeit über eine Ruhe, eine ruhige sichere Kraft in mir, auch jetzt, wo ich noch viel klarer sehe, daß das Ziel dieser Inszenierung, wie sie mich hier reinmanövriert haben, präventiv sein sollte, zu einer Schlappe wird, die sie sich selbst erteilen.
Die Rahmenbedingung ist das eine, dein Bewußtsein das andere, meine Liebe, mein Leben, meine Kraft, meine Träume, meine Gedanken, meine Phantasie, die Ladung an Energie, die Vorstellung von dem was ich will, und wie sehr und wie richtig, und immer nichts von all ihrem weißen Dreck, einfach absolut nichts, da reicht nichts hin, das nimmt mir keine dreckige Inszenierung, keine Folter, keine „Befriedung“, keine Methode, noch so ausgefeilte Technik; dieses Wissen gibt mir die Sicherheit, die Ruhe, auch Phasen von Angestrengtheit und ausgelaugt sein, zuzulassen. Denn, das ist auch klar, es bestimmt sich immer für das was du willst, und nicht was du nicht willst. Und auch hier drin macht sich das fest, daß ganz klar ist, die Ruhe für mich ist auch die Kraft für die Veränderungen der Bedingungen, die es durchzusetzen gilt; die Gemeinsamkeit im Kopf kollektiv leben zu können und weiter zu entwickeln, gerade hier!! Jawohl! Jawohl! Jawohl!

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machwerk, frankfurt (2000)