Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 24-26
Macht kaputt was euch kaputt macht

Nicht nur in Großstädten wie Berlin, Frankfurt, München... sondern auch in Kleinstädten kommt es zu massenhaften Protest- und Widerstandsaktionen. Aufbruch! Rebellion!
Sie richten sich gegen umweltfeindliche Baumaßnahmen, Atomkraftwerke, öffentliche Rekrutenvereidigungen, Neo- und Altnazi Versammlungen.

Die internationale Solidaritätsbewegung bekommt neuen Schwung durch die Revolution in Nicaragua 1979, es werden Brigaden organisiert, die hinfahren.

Überall werden Häuser besetzt, neue Lebensformen ausprobiert, und das Spekulantentum angegriffen. Die atomare Nachrüstung soll durch verschiedene Aktionsformen verhindert werden. Von Ostermarschspaziergängen der Friedensbewegung, militanten Großdemos bis zu Blockaden der militärischen Transportwege. Hunderttausende gehen auf die Straßen.

Trotz dieser massenhaften Proteste setzt die damalige SPD Regierung ihre großen militärischen und wirtschaftlichen Projekte durch. Ein AKW nach dem anderen wird gebaut, die Mittelstreckenraketen stationiert, und damit jede Protestbewegung ignoriert. Statt dessen werden die Widersprüche in der Gesellschaft mit immer strikteren Gesetzen und einem gigantischen Ausbau des Polizeiapparates beantwortet.

Das macht die Wut noch größer, viele die erst gewaltfrei demonstriert haben, nehmen nach brutalen, bürgerkriegsähnlichen Schlagstockeinsätzen der Polizei die Steine in die Hand.

Die verschiedenen Ziele werden miteinander verbunden. Es geht gegen alles „ macht kaputt was euch kaputt macht“, und für die sofortige Umsetzung freier und kollektiver Lebensstrukturen. Hüttendörfer werden gebaut wie zum Beispiel auch an der Startbahn 18 West in Frankfurt, um die Abholzung und Erweiterung des Flughafens zu verhindern. Politische Zusammenhänge werden hergestellt, es geht nicht nur um „Rettet den Wald“ sondern auch gegen die militärische Benutzung des Flughafens.
Andrea war mittendrin und überall. Sie liebte Punkkonzerte wie sie auf Demos ging und Widerstand organisierte. Kultur und Kampf gehörte für sie zusammen. Immer aktiv, immer initiativ war sie schon früh und dann in regelmäßigen Abständen mit der Staatsgewalt konfrontiert.

„...stark sein -
stärker werden...“
Andrea 4.4.81

samstagmorgen, aprilwetter, erstmal kaffee saufen, ins auto stürzen und zum königsplatz, demo gegen wohnungsnot, für mehr spaß auf der straße. natürlich wieder zu spät, und mann, ich kanns nicht fassen, 2.000 leute, ein einziger schwarzer haufen, panx mit ordnerbinden, vw-bus mit bester, wildester musik, bierflaschen, pogo am karolinenplatz, scheißegal, natürlich, was jucken euch unsere forderungen, was kümmert uns eure ignoranz, wir wollen alles. die welt ist schlecht, das leben schön, farb-beutel an nobelhotels noch schöner. ich seh vor lauter irokesen die bullen-massen nicht mehr, nur ab und zu einen hochhüpfen, wenn ihm schon wieder ein kracher zwischen die beine geflogen ist. tja jungs, in diesen stunden habt ihr nix zu melden, wild in the streets und das musikauto kriegt ihr auch nicht, keine chance, spießrutenlauf, da lacht das herz. die zivis gehen auch nicht leer aus, mit zerrissenen hemden, verbrannt, fußball-spielen mit pflastersteinen, den pigs wirds immer ungemütlicher, ungehaltener, schon wieder eins auf die nase, spaliere abdrängen, gnadenlos der zeit voraus.

jacken tauschen, in der menge untertauchen, denn sie haben schon ein auge auf uns geworfen, odeonsplatz, strauß-gesabber über lautsprecher, es liegt was in der luft. plötzlich schreit einer ins mikro, die zivis greifen leute ab, massenhysterie, alle rennen hinter, wir lassen euch nicht allein, wannen fahren auf, jederzeit einsatzbereit. die schlacht ist schon in vollem gang, jeder gegen jeden, bullenärsche schleifen leute an den haaren über die straße, sie knallen köpfe gegen hauswände, fesseln mit seilen, stiefel ins gesicht, eine verhaftung nach der anderen, sie machen keine gefangenen mehr, diese miesen ratten. wir befreien einen aus den klauen der ss, krieg eine ladung chemical mace ins gesicht, torkle weiter, muß fast kotzen, irgendwoher plötzlich eine zitrone in der hand. wie ich wieder klar seh, schon alles aufgeräumt, saubere arbeit, 20 leute verhaftet, na wartet, schweinepack, vielleicht bist du der nächste. die marstallstraße abgesperrt, wir brechen durch die kette, rennen zur telefonzelle, rufen anwälte an.

30 leute auf zur ettstraße. das gibt terror meine herren, nochmal zum telefonieren, ungutes gefühl, stehen zu zweit in der tele-fonzelle, ich halt den hörer in der hand als ein zivi die tür aufreißt, schreit, sie sind verhaftet, wieso, auf beschreibung, leg auf, dreh mich um, ich bin mir keiner schuld bewußt, abhauen geht nicht, handschellen, zerren uns in einen bus, lang mich bloß nicht an, arme ausstrecken, keine falsche bewegung, wachhund neben mir, kapier nix.

im revier verwahrungszellen, wir spielen amikrimi, ich laß die flugblätter verschwinden, unsere personalien dürften ja wohlbekannt sein, nach drei stunden werden auch wir in die ettstraße verladen, natürlich durch den hintereingang, denn noch halten die anderen stel-lung, und dann hock ich da auf der pritsche, einzeln.
ich hör sie draußen schreien: police, police, i don't care, solang ihr da draußen unser gefängnis bewacht, ihr gebt sicher ein nettes gruppenphoto ab für den bullen, der versteckt hinterm vorhang vorblitzt, euch fotografiert beim schreien, kaffee, bier saufen, kichern auf der straße, eure wut springt ihnen ins gesicht, every cop is a criminal, man o man, tote hunde mit der post verschicken und in jeden bullenarsch eine handgranate. schon wieder ed-behandlung, die alten akten seien abhanden gekommen. in wessen hände wohl. führ mich auf, wieso ich auf einzel liege. komme also in die gemein-schaftszelle.

zwei andere frauen sind da. mädels, denen machen wir die nächsten 24 stunden zur höl-le, sie holen mich ins erdgeschoß, immer diesen haß im rücken, wenn sie jeden schritt hinter dir hermarschieren, einen telefonhörer in der hand, kontakt zur außenweit, aber mein anwalt is nich da, zum glück kommt grad ein anderer rein, nimm mich, mein junge, und danke dem polizeistaat für die arbeitsbeschaffung, im anwaltszimmer hab ich immer das gefühl, irgendwo müssen die wanzen sein, oder sie filmen uns von oben. wies weitergeht is ihm auch nicht viel klarer als mir, aber zigaretten gibts und ein paar spöttische witze, die mein ehrenvolles geleit überhört und mich wieder ins loch bringt, das wars dann wohl für heute.

die nacht vergeht kriechend. wir rauchen eine nach der anderen, und irgendwie das gefühl, so schnell nicht mehr rauszukommen, der harte kopfkeil verursacht alpträume. klar, die müssen uns rauslassen, alle zwei minuten zum pissen und dann erzähl ich witze. der morgen bringt gute laune und lauwarmen malzkaffee und wir sind zu dritt, und überhaupt es reicht, wir malen mit schwarzem benzinstift die ganze zelle an, den haben sie bei der filze übersehen, schmeißen die blechaschenbecher durch die gegend, klatschen die frühstückssemmel in den spion, hüpfen auf den holzpritschen rum, kreischen, hämmern an die wände, keine wachtel traut sich in unsere nähe, plötzlich geht die tür auf, und die wachtel schreit, die zwei anderen sollen ihre sachen packen und können gehen, einfach gehen, und was is mit mir, hey, ihr wixer, ihr könnt mich doch nicht hier hocken lassen.

verdammt, macht was, draußen hör ich wieder unsere freunde schreien, auf einmal bekannte stimmen vom hof her, ich angele mich aufs fensterbrett, seh die anderen gierig am fenster hängen, die gitter drücken gegen die schläfen, alle angst wie weggeblasen, wir sind zu elft. da kann ich nur noch grinsen. ich merk null wie die wachtel reinkommt, mich vom fenster runterzieht, und dann bin ich plötzlich in einer einzelzelle.

im hof is es mittlerweile auch still. sie wollen mich in eine dunkelzelle stecken, falls ich noch einmal den mund aufmach, und dann führen sie mich zum haftrichter, eine männliche wachtel zieht mich am arm den gang runter ins richtige zimmer, mein anwalt is auch schon da und meine mutter, im vernehmungszimmer, der verkehrsrichter, ich auf dem bänkchen, alles geht in drei minuten über die bühne, unterschriebener haftbefehl, wegen fehlender sozialer bindung, körperverletzung eines beamten, wenn ich sie nur gefotzt hätte, die pigs.

mein gott, der typ da vorne ist ja noch nicht mal fähig mich anzuschauen; krieg einen durchschlag in die hand gedrückt, und dann schieben sie mich wieder in die zelle ab, treffe einen von uns auf dem gang, ein kuß, schon wird er abgeführt zur gleichen prozedur, auch fehlende soziale bindung. kaum bin ich oben, häng ich wieder am fenster, von allen 28 ist gegen 11 haftbefehl erlassen worden. eins ist sicher, wir werden ihnen das alles heimzahlen. für jede minute einen von ihnen... ich les den rosa wisch zum hundertsten mal, kann ihnen nur noch in die fresse spucken, führ mich auf, schmeiß die alarm-glocke, will baldrian und dann penn ich durch.

morgen, freu mich drauf mit den anderen zusammen im schubbus durch münchen zu fahren, um sechs is abtransport, außer mir keiner weit und breit, dafür 20 türken, denen fast die augen ausm kopf fallen, scheiße, war nix mit verabschieden. wie lang ich euch wohl alle nicht mehr seh? die straßen durch gitter und tausend roboter auf arbeitsgang, alltag, fünf semmeln bitte, wer hat euch bloß euer hirn so leer gepumpt?

auf nach neudeck, voll rein in die mühle erstmal wartezelle, gestank, muß meine kla-motten abgeben, ab jetzt nur noch anstaltskleidung, grau und steif, einzelhaft, einzelzelle, viel zu weiß und ein viel zu schmales bett, keine bücher, nur fantasie, tagsüber keine matratze, 1 stunde im kreis laufen, die hyänen sind sprungbereit: amokkoma, das war noch lang nicht alles.

wir sind im hungerstreik für zusammenlegung, die tage verlaufen monoton, keiner da zum reden, wiedermal glocke schmeißen, will papier und stift und endlich duschen und klarheit. in meinem kopf nur konfus, ungewißheit macht mürbe, schreibe briefe, alptraum, pläne schmieden, uns gehört die zukunft, verlege alle sinneswahrnehmungen aufs hören, is nich gerade viel, nach 4 tagen erlösung, haftbefehl is aufgehoben, die tür fällt das letzte mal hinter mir zu, stürze die treppen runter, gnädige blicke, und dann bin ich draußen, steh auf der straße, die sonne blendet mich, frühling, keine ahnung, was nun, erstmal richtig rennen, fahren mit dem taxi nach stadelheim, doch die anderen sind noch in den händen unserer entführer, keiner weiß was genaues. am nächsten tag 500 leute vor stadelheim, 500 mal freiheit für alle, 500 mal gebrüll gegen die mammutmauer, drinnen is der teufel los, eine halbe revolte, brennendes papier zum fenster raus, nur noch geschrei, zellen werden zertrümmert, das ist rhythmus.

Linke Seite Abenteuerspielplatz
rechte Seite Supermarkt
in der Mitte Autobahn
Maschinenland Maschinenland
wann wirst du endlich abgebrannt?

Text aus AMOKKOMA von Abwärts

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machwerk, frankfurt (2000)